Publikationen:2001 11 11 Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: Verbotener Code auf dem T-Shirt
Verbotener Code auf dem T-Shirt
Hacker contra Industrie: Das ist fast so schön wie Tom und Jerry. Diesmal geht es um die Entschlüsselung der Software, die digitale Filme schützt.
Von Mark Benecke und Klaus Fehling
Rein äußerlich macht sie nicht viel her, die Scheibe aus Kunststoff, aluminiumbeschichtet, 12 Zentimeter im Durchmesser, nur 1,2 Millimeter dick. Doch die Digital Versatile Disc (DVD) hat es in sich. Bis zu 17 Gigabyte lassen sich auf einer einzigen DVD speichern. Genug, um einen ganzen Spielfilm darauf unterzubringen. Und genau das ist das Problem: DVDs an sich sind billig, aber Spielfilme sind teuer; wer Spielfilme produziert, will außerdem im allgemeinen auch noch Geld damit verdienen.
Also hat sich die Filmindustrie schon vor geraumer Zeit etwas einfallen lassen. Sie verschlüsselt ihre Daten eigens mit einem speziellen Schutzprogramm, das sich CSS (Content Scrambling System) nennt. Den Code, der die Daten wieder freigibt, muß jeder Hersteller eines DVD-Abspielgerätes zusätzlich erwerben. Das schlägt sich natürlich im Preis nieder; die Kosten trägt in jedem Fall der Endverbraucher.
Das Schutzprogramm ärgert viele Spielfilmfreunde schon lange. Dazu zählen nicht nur notorisch verarmte Studenten, die sich bekanntlich gerne mal eben was kopieren. Auch die kommerziellen DVD-Kopiermühlen in Fernost, die jedes digitale Produkt wahllos vervielfältigen und, zwischen Lit-schis und Stinkmelonen, massenhaft auf die südasiatischen Wochenmärkte werfen, würden gern auf CSS verzichten. Für die Anhänger alternativer Betriebssysteme ist ein Kopierschutz ohnehin der Feind in digitaler Form. Kein Linuxpro-grammierer von echtem Schrot und Korn würde je den Schlüssel für Abspielgeräte kaufen. Deshalb war die Linux-Gemeinde bis 1999 auch vom Filmgenuß am Computer ausgeschlossen. Doch dann erwachte ihr Ehrgeiz.
Am schnellsten war die norwegische Hackertruppe "Masters of Reverse Engineering". Im November 1999 stellte sie ihr Programm namens DeCSS ins Internet. Das Besondere daran: Anders als geklaute Paßwörter war das Programm als Quelltext formuliert, noch dazu in einer leicht lesbaren Programmiersprache. Jeder Programmierer konnte nun die Funktionsweise der Verschlüsselung bis in die Tiefe verstehen und daher weitere, neue Entschlüsselungen entwickeln. Zweifellos eine schöpferische Leistung; die aber kann, nach den Regem des Urheberrechts, eigentlich nicht kriminell sein.
Oder doch? Immerhin brachte der weggetüftelte Kopierschutz den Filmverleihern riesige Umsatzverluste ein. Der Hacker-Code erlaubte es eben nicht nur, DVDs unter Linux zu betrachten, sondern auch, die Filme beliebig zu kopieren.
Die Hacker weisen selbstverständlich jede rechtsbrecherische Absicht von sich. Sie hatten es auch furchtbar einfach beim ersten Knacken. Die Vereinigten Staaten erlauben nämlich generell nur Verschlüsselungen, die höchstens 40 Bit lang sein dürfen - alles andere gilt zur Erheiterung des Rests der Welt als militärische Technik. So wurde die DVD-Verschlüsselung durch eine abstruse Vorschrift zwangsweise weichgespült. Von Anfang an galt der Code als zu schwach, um die Film-Datenträger vor Piraterie zu schützen. Beten half da auch nicht mehr viel.
Nur vor Gericht hatten die großen Filmstudios, die sich schnellstens wehrten, von Anfang an einen Vorsprung. 1998 war in den Vereinigten Staaten der Digital Miüennium Copyright Act in Kraft getreten; er soll digitale Urheberrechte schützen. Richter Lewis Kaplan vom bekanntermaßen humorlosen District Court in Man-hattan schlug den Hackern am 17. August 2000 genau dieses Gesetz um die Ohren und entschied, daß jedes Angebot für DeCSS-Soft-ware gesetzeswidrig sei. Der elektronische Verweis auf andere Web-sites, auf denen der umstrittene Code eventuell zu finden wäre, wurde gleich mit verboten.
Erst diese hammerharte Auslegung des Urheberrechts brachte eine größere Netz-Gemeinde auf die Barrikaden. Jetzt wurde der Streit grundsätzlich.
Den ersten Schlag führte im Mai 2000 die Firma copyleft-net mit T-Shirts, auf denen der komplette DeCSS-Quellcode abgebildet war. Die Klamottendrucker argumentierten, Meinungsäußerungen auf T-Shirts müßten stets erlaubt sein, alles andere sei Zensur. Doch das war erst der Anfang. Immer neue Formen, den Dekodiertext zu verbreiten, wurden in der Folge entwickelt.
Als edle Grafik kommen beispielsweise drei Cyberkringel auf einem elektronisch versendbaren Bild-File daher, verdächtig wirkt auf den ersten Blick bloß ein eingeblendeter Mini-Programmtext, den jeder Anfänger innerhalb von zwei Minuten in eine x-beliebige Textverarbeitung eintippen kann, um ihn anschließend mit Hilfe eines einfachen Compilers in ein ausführbares Programm zu übersetzen. Dieser Mini-Text ist aber nicht etwa das dekodierende DeCSS-Programm selbst - das wäre ja verboten -, sondern ein Programm, das die vielen, zwischen den (unsichtbaren) Rohdaten des Bildes versteckten Code-Teile erst zusammenrügt. Anders gesagt: Wer das Bild als Datei besitzt, kann mit dem darauf sichtbaren Kleinstprogramm die Bilddatei direkt in eine DVD-Dekodierung übersetzen. Und mit ihr kann man dann jede DVD lesen.
Juristisch gesehen ist der Fall schwer zu fassen. Im Gegensatz zum T-Shirt, das trotz vorgetäuschter Manifestation von Meinungsfreiheit nichts anderes als die verbotene Verbreitung geschützter Daten mit textilen Mitteln darstellt, sind die Grafik sowie der darin verborgene Schlüssel zum Schlüssel bereits eine geistige Eigenleistung, die ihrerseits unter den Urheberrechtsschutz fällt.
Die Anzahl solcher kreativen Zwitterwesen zwischen Klau und Kunst ist inzwischen kaum noch zu überschauen. Da gibt es einen seitenlangen Strichcode, der sich mittels Supermarktkassen-Software und eines kleinen Gratisprogramms direkt in Maschinensprache übersetzen läßt (heraus kommt natürlich wieder der Entknack-Code). Oder eine ellenlange DNA-Sequenz, die sich durch ein kindlich einfaches System (jeder Viererblock ein Maschinensprache-Zeichen) in den DVD-Schlüssel überführen läßt.
Gefühlvoller, vor allem aber endgültig vom Verdacht des Illegalen befreit, geht ein Song der Band Don't eat Pete die Sache an. Liedzeilen wie "Retrieve Byte Zero of EY, XOR it with Byte 84 of SEC and treat die result as an integer" enthalten zwar nicht den eigentlichen Code. Jeder Programmierer kann die Reime aber in Computersprache übersetzen. Dasselbe gilt für einen Text des Com-puterwissenschafders Dave Touretzky, der seine Code-Anleitung in englische Prosa übertragen hat.
Es gibt zum selben Zweck auch Hunderte von Haikus sowie die sprechenden Comicfiguren Merlin und Robby, die bösartigerweise an die helfende Windows-Büroklammer des üniversalfeindes Microsoft erinnern. Sie alle verraten, wie ein durchschnittlicher Programmierer ein überdurchschnittlich umstrittenes Dekodierprogramm neu erschaffen kann.
Der Filmbranche bleibt angesichts des kreativ geführten Kampfes ihrer Gegner nur das Säbelrasseln vor Gericht. Runde eins vor dem District Court in Manhattan ging, wie gesagt, vergangenes Jahr an die Industrie. Die Kontrahenten waren der Verband der DVD-Hersteller und Andrew Bunner vom Hackertrupp 26oo.com.
Bunner hatte auf seiner Website mehr als fünfhundert Quellen für das Dechiffrierprogramm DeCSS genannt und dies mit seinem Recht auf Meinungsfreiheit begründet. Den Fall Napster noch vor Augen, fuhren die Hersteller schweres Geschütz auf: Wie beim freien Täusch von Musiktiteln im MP3-Format sei schwerer wirtschaftlicher Schaden für Autoren, Künsder und Produzenten zu befürchten. Das Gericht schloß sich dieser Auffassung an: Die Verbreitung eines geschützten Computercodes, so Richter Kaplan, sei sowenig Ausdruck der freien Meinungsäußerung, wie die Ermordung eines Politikers Ausdruck einer politischen Ansicht sei.
Runde zwei fand jetzt vor dem sechsten Berufungsgericht im kalifornischen San Jose statt. Sie ging klar an die Seite der Informationsrebellen. Eine Website mit Verweisen auf den Fundort eines Programms zu versehen sei eine Sache der Redefreiheit und damit durch den ersten Zusatz zur Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika geschützt, so befanden die Richter. Und der "soziale Wert" eines Hackerprogramms sei zwar fragwürdig, nichtsdestoweniger sei auch diese Software ein schützenswertes geistiges Gut.
Die Angelegenheit ist damit nicht ausgestanden. Der Verband der DVD-Hersteller hat bereits angekündigt, in die Berufung zu gehen. Bis dahin werden beide Seiten sich etwas einfallen lassen. Mit welchen Bandagen dabei gekämpft wird, zeigt sich unter anderem daran, daß mp3.com, die bekannteste Sammlung von Musikdateien im Internet, den Song DeCSS von Joe Wecker aus Furcht vor den Filmriesen mittlerweile aus ihrem Angebot entfernt hat.
Sie wollen das Lied trotzdem einmal - natürlich ganz unverbindlich - hören? Kein Problem: Suchen Sie mit der Suchmaschine Google die Begriffe "decss" und "eat pete". Dann können auch Sie dem Widerwillen des guten Sängers gegen die DVD-Schufte lauschen. Kein musikalischer Hochgenuß, zugegeben, aber ein weiterer kleiner Sieg der freien Meinungsäußerung im Internet. Finden zumindest die Hacker.